Textauszug  von Marcel Du Vinage

Méloncolie

[…]während sie schreibt, ergreift sie des öfteren ein unsäglicher Schmerz. Diesen Schmerz, den sie in diesen Stunden verspürt, und der ihr oft Tränen die Wangen herunterrollen lässt, niemand wird ihn je mindern. Er betrifft die Vergänglichkeit des Augenblicks, die Vergänglichkeit der Zeichen der Zeit, der Jahreszeiten, es ist schon wieder Frühling und das Licht, das durch das Fenster scheint, wird schon in ein paar Stunden von der Nacht umhüllt.
So oft mochte sie vergessen in diesen Zeiten, sie hatte es versucht durch zuviel Alkohol, der diesen Schmerz jedoch nur unsäglich anschwellen ließ.  Denn plötzlich war sie in einem Horrorszenario gefangen, ohne Ausweg, in dem ihr der Tag so nahe schien, an dem ihr in der Bahn jemand einen Sitzplatz anbot, so alt war sie geworden.
Sie hatte versucht, zu vergessen, indem sie Liebe machte, dieser Versuch glückte, denn dann lebte sie im Augenblick. Doch sonst schwirrte sie wie eine Eintagsfliege durch die Welt, jede Stunde würde sie näher zu knocking on heavens door bringen.
Sie fühlte sich wie Ikaros, der heute nicht an Dinge denken würde, bevor das Wachs seiner Flügel zerschmolz. Die Nichtigkeit der Dinge zerdrückten sie wie der Daumen eines Kindes eine Ameise. Diese Ameise war lange emsig gewesen, hatte Träume gehabt, die ihr wie Sterne erschienen.
Doch diese Sterne waren Dinge gewesen, die sie aus dem Fenster ihres Flugzeuges nicht mehr sah.
Die Sterne hatten Form angenommen, sie hatte sich ihnen genähert, zumindest hatte sie fest daran geglaubt, wenn sie ihr Spiegelbild sah… sie hatte Anerkennung und beinahe Exzellenz erreicht. Sie könnte nun weiterstreben, nach Geld, nach einer hellen Eigentumswohnung im Herzen ihrer Wahlheimat Köln, nach luxuriösen Reisen in die entferntesten Länder. Doch sie spürte, dass sie den Weg dorthin längst verlassen hatte.
Wie töricht, zehn Jahre nur für den Beweis gelebt zu haben, ein intelligentes Wesen zu sein, und intellektuell, kontaktfreudig, anpassungsfähig, diszipliniert. Die Kämpfernatur legte ihren Säbel nieder und gab sich geschlagen.
Und dann dachte sie an die Wunden, die unheilbar waren[…]
v. Marcel Du Vinage
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